Tag 19-25 | Atlantiküberquerung - wir kommen!
- Losgelöst
- 3. Dez. 2019
- 6 Min. Lesezeit
Freitag, 29.11.2019 - Dienstag, 03.12.2019 | Las Palmas

Es ist 5 Uhr morgens, als wir die Fähre verlassen. Wir spüren eine warme Brise auf unserem Gesicht und schauen in den Hafen von Las Palmas. Obwohl es noch stockfinster ist, ist der Hafen schon lebendig. Wir werden mit dem Bus zum Placa de la Santa Catalina gefahren. Von hier ist es nicht weit bis zum Hafen, an dem die privaten Boote anlegen. Wir laufen ca. 20 Minuten durch die schlafenden Straßen von Las Palmas. Am Strand sehen wir einen Pulk von Schlafsäcken und Zelten. „Bestimmt andere Tramper“ denken wir uns und wie wir später feststellten, sollten wir Recht behaltenl.
6:00 Uhr kommen wir am Eingang vom Hafen an, der leider noch verschlossen ist. Das ist das erste, was wir über den Hafen lernen: er ist von 0-7 Uhr für Außenstehende verriegelt. Wir laufen einmal den Zaun entlang, um ein Gespür für die Größe des Hafens zu bekommen und setzen uns danach vor den Eingang und warten. Der Hafen scheint 3mal so groß wie der in La Linea zu sein und überall sieht man Boote. Die Aufregung steigt.
Aber erst einmal Zeit für Frühstück: wir teilen uns eine Banane – mehr haben wir nicht dabei. Nachdem das Eingangstor von freundlichen Hafenpolizisten geöffnet wird, stiefeln wir motiviert zum Lageplan. Unsere Strategie: die gleiche wie in La Linea. Wir suchen das Hafenbüro und die Bar, über die man bei jeder Internetrecherche stolpert: Sailor’s Bay. Der erste Blick über den Plan scheint vielversprechend. Es gibt eine Menge Stege, einige Restaurants und Geschäfte. Wir beschließen, zum Hafenbüro zu gehen, in der Hoffnung, dass schon einige neue Leute am Morgen anlegen würden.
Auf dem Weg dorthin fällt uns etwas besonders ins Auge: die unzähligen Flyer von anderen Trampern. Hier ein schwarzes Brett, da eine beklebte Laterne und dort ein beklebtes Steg-Tor. Sind Flyer hier tatsächlich erlaubt? Wir schauen uns an und kramen grinsend unsere übrigen Flyer von LaLinea aus dem Backpack, streichen „Gibraltar“ durch und ergänzen mit dem Kuli, dass wir nun in Las Palmas sind. Nicht schön, aber selten. Motiviert kleben wir unseren ersten Flyer neben die 6 bestehenden und laufen weiter. Den zweiten Flyer wollen wir gerade an ein Tor kleben, da läuft jemand hinter uns vorbei. „Es gibt so viele von euch!“ murmelt der Mann. Wir drehen uns um und fragen, ob es wirklich soo viele sind. Wir kommen ins Gespräch – mit Fred aus Hamburg, der uns später auf seinem Boot wohnen lässt. Aber zuvor macht er uns erst ein mal wenig Mut: „Habt ihr Segelerfahrung?“ möchte er wissen. „Na, was wollt ihr dann hier?“ antwortet er knapp, als wir verneinen. Wir erklären unsere Absichten. Jeder fängt immerhin mal klein an. Fred erzählt, dass er früher auch mitgenommen wurde, aber so etwas passiert nur einmal. „Einmal in jedermanns Leben“ antworte ich und kann immerhin ein kurzes Lächeln hervorlocken. So geht es noch eine Weile, bis wir uns verabschieden.
Ein paar Stunden später liegen unsere Rucksäcke in der Kabine auf seinem Boot. Harte Schale, weicher Kern – denn er lässt uns auf seinem Boot übernachten. Während die Tage am Hafen in La Linea sehr eintönig waren, laufen die Tage in Las Palmas etwas anders ab: wir frühstücken mit Fred zwischen 8 bis 9 Uhr, teilen Haferflocken und Kaffee, machen uns danach auf den Weg zum Hafenbüro, verbringen dort ein paar Stunden, in denen wir unsere Scheu überwinden und Leute ansprechen, aber auch Knoten üben, die Fred uns beigebracht hat. Die Siesta-Zeit von 14-17 Uhr verbringen wir meist damit, uns weiteres Segelwissen von Fred beibringen zu lassen, mit ihm Scrabble zu spielen oder uns mit anderen Trampern in der Hafenbar auszutauschen. Wir treffen ganz unterschiedliche Leute – frisch gebackene Abiturienten, Wandergesellen, Kurzzeitabenteurer und Langzeitreisende. Die einzige Gemeinsamkeit, die uns verbindet: wir suchen alle ein Boot, das uns über den Atlantik bringt.


Fotos: Der Hafen in Las Palmas - mit so vielen Booten und bei 28 °C eine andere Welt im Vergleich zum Hafen in La Linea de la Concepcion.
Es findet stets ein reger Austausch zwischen den Trampern statt. So hält man sich auf dem Laufenden, welche Boote welche Leute suchen, zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis. Vorher haben wir schon im Internet gelesen, dass viele Boote einen Preis für die Mitnahme verlangen, zumindest die Beteiligung an den Kosten für die Lebensmittel und Sprit sind gängig. Von den anderen Trampern haben wir durchschnittliche Mitnahmepreise von 400-1.000 Euro erfahren. Für Leute mit Segelerfahrung ist es durchaus möglich, kostenlos mitgenommen zu werden, wenn sie während der Fahrt arbeiten und komplette Schichten übernehmen. Wir haben uns also darauf eingestellt, einen gewissen Betrag zu bezahlen.
Es heißt so schön: der Weg ist das Ziel. Das wird uns besonders bewusst, als wir plötzlich die Möglichkeit bekommen, auf einem Boot mitzufahren: eine italienische Crew überbringt ein Boot in die Karibik und hätte noch eine Kabine für uns frei – jedoch für einen stolzen Preis von knapp 2.000 Euro. So viele Tage haben wir in La Linea und in Las Palmas darauf hingearbeitet, so oft haben wir uns diesen Moment gewünscht. Und doch fühlten wir uns unwohl. Sollte es sich nicht toll und aufregend anfühlen, wenn man ein Boot gefunden hat? Sollte nicht die Freude überwiegen anstatt die Unsicherheit? Nach langem Überlegen hören wir auf unser Bauchgefühl und sagen ab. Wir sind uns sicher, dass unser Boot noch kommen wird und wollen uns weiter in Geduld und Vertrauen üben – ohne zu ahnen, dass wir gar nicht mehr lange warten brauchen.
Nach einigen Tagen sprechen wir mit Fred über unsere Situation. Wir wissen nicht, ob und wann wir ein Boot finden werden. Tatsächlich dürfen wir bis Weihnachten hier bleiben. Glücklich und dankbar gehen wir am nächsten Tag einkaufen, um unsere Vorräte aufzufüllen: Haferflocken, Reis, Couscous, Linsen, Bohnen, Käse und Gemüse – Essen für eine Woche und das gerade mal für runtergerechnet 4 Euro pro Tag. Wir freuten uns auf die Zeit auf dem Boot und im Hafen. Nichts ahnend, dass wir diesen Einkauf kaum anrühren würden, weil sich schon am nächsten Tag alles ändern sollte.
Am 4. Tag im Hafen von Las Palmas war es dann soweit. Nach unserer morgendlichen Schicht am Hafenbüro sitzen wir bei Fred auf dem Boot und überlegen, was wir zuerst aus unserem Einkauf kochen sollen. Das Handyklingeln reißt uns aus unseren Überlegungen. Eine unbekannte Nummer. „Hi hier ist Ron. Ich habe euren Aushang im Hafen gesehen. Sucht ihr noch nach einem Boot für die Fahrt über den Atlantik?“
10 Minuten später sitzen wir mit Ron und Jürg in der Sailors Bar und tauschen uns aus. Die beiden wollen in die Karibik, nach Barbados, um genau zu sein. Eigentlich wollte Ron (33) mit seiner Frau und Tochter die Reise antreten. Doch nach der Fahrt durch den Mittelmeerraum nach Las Palmas fliegen die beiden nun lieber und Ron stand unverhofft allein im Hafen. Innerhalb eines Tages hat er via Internet und Aushänge im Hafen eine neue Crew aufgestellt: der 57 jährige Jürg aus der Schweiz und wir zwei blutigen Anfänger werden ihn begleiten.
Da stehen wir nun, im Hafen von Las Palmas, mit unseren beiden Backpacks, neu gekauften Rettungswesten und einem Vorrat an frisch eingekauften Lebensmitteln. Hinter uns liegen 3 Wochen, die wir durch Frankreich, Spanien und Gibraltar gereist sind, insgesamt 2500 km Strecke auf dem Festland und 36 Stunden mit der Fähre bzw. ca. 1.500 km, insgesamt haben wir bisher also ca. 4.000 km ohne Flugzeug geschafft.
Vor uns wartet das nächste und wohl größte Abenteuer in unserem bisherigen Leben auf uns: 2.600 Seemeilen (umgerechnet knapp 5.000 km), wir überqueren den großen Teich und wenn wir Glück haben, sind wir an Weihnachten in der Karibik.
Großer Teich, wir kommen!
Info: Wir sind am 28.11.2019 in Las Palmas angekommen. Am 01.12.2019 haben wir ein Boot gefunden. Wenn ihr das hier lest, sitze ich gerade in der Sailor's Bar, DER Bar, in denen sich die Segler und Tramper treffen. Es ist die Bar, in der wir auch unseren Aushang aufgehängt haben. Und es ist die Bar, in der Ron und Jürg unseren Aushang gesehen haben.
Es ist der letzte Abend vor der Abfahrt. Ich wollte euch gern eine kurze Zusammenfassung der letzten Tage geben und deswegen sind die Bilder etwas knapp. Die werde ich nachfügen - genau so wie die ausführliche Beschreibung, wie wir auf das Boot gezogen sind und wie die letzten Tage vor der Abfahrt mit Ron&Jürg waren. ;)
Ab morgen, Mittwoch, den 04.12.2019 sind wir auf dem Atlantik unterwegs. Unser Kapitän rechnet mit 3 Wochen bzw. 19-25 Tagen Überfahrt. Wir melden uns dann, sobald wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, vielleicht also zwischen dem 23. Und 30.12.2019.
Unter dem folgenden Link könnt ihr unseren Weg verfolgen:
Der Link leitet euch auf eine Tracking-Seite weiter. Alle 2 Minuten wird von unserem Boot ein GPS-Signal gesendet und unsere Reise auf diese Weise getrackt. So könnt ihr uns ein wenig verfolgen. Der Link ist für die nächsten 4 Wochen aktiv.
Vielen lieben Dank für all die liebevollen Nachrichten, die uns bisher erreicht haben. Ihr seid alle in unseren Gedanken und Herzen! Wir melden uns für die nächsten Wochen ab und wünschen euch allen eine wunderschöne Weihnachtszeit. Besinnt euch auf das, was wirklich wichtig ist und genießt die Zeit mit euren Liebsten.
Macht's gut und passt auf euch auf. Oder wie die Seeleute sagen:
Vielen Dank, lieber Jonas. Falls es uns in deine Nähe verschlägt, melden wir uns sehr gern. :) Liebe Grüße zurück!
Hanno hatte euch meinen Kontakt geschickt. Falls ihr in der Nähe von Virginia seid, meldet euch.
Grüße